Früher war alles Töchter

Was wohl in Friedrich Merz vorgegangen sein mag, als ihm seine Aussagen zu Migranten im Stadtbild um die Ohren geflogen sind?
Insbesondere sein verbales Nachtreten, als er kalt lächelnd feststellte, dass unser aller Töchter seine Sicht der Dinge teilen würden, kam wirklich nicht gut an.
Im Gegenteil, die überwältigende Tochter-Mehrheit in diesem Land ist wie auch die meisten nicht-Töchter keineswegs seiner Meinung.

Begeben wir uns heute in die Abgründe eines Weltbildes, das tatsächlich so anachronistisch zu sein scheint, wie Merz-Kritiker und andere Ketzer das schon immer vermutet haben.
Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von Wassonstnochgeschah™.

Hielte man ihn nicht ohnehin schon seit vielen Jahren für einen empathielosen Gesellen, fast könnte er einem leid tun, der Herr Bundeskanzler, scheint es ihm doch seit den Achtzigern nicht mehr gelungen zu sein, seine Sicht auf die Welt mit der Realität außerhalb seiner Bubble abzugleichen.

Wahrscheinlich kann sich Friedrich Merz gar nicht vorstellen, dass es Menschen in Deutschland gibt, die ihre Hochzeit nicht auf Sylt feiern – wo sie mit ihrem eigenen Flugzeug hinfliegen.
Unvorstellbar scheint für ihn auch, dass es hierzulande Leute geben könnte, die ihr Kind nicht mit der geleasten G-Klasse, sondern einem altersschwachen Opel Corsa bei der Kita abladen, oder – gottbewahre! – sich gar kein Auto leisten können.

Völlig ausser Frage steht dagegen, dass wer länger als eine ganze Stunde arbeitslos ist, das mit voller Absicht ist und einzig und allein dem Staat auf der Tasche liegen will. Und der Staat, das ist nun mal der Friedrich Merz.

Hachja, die seligen Achtziger.
Die deutsche Automobil- und sonstige Industrie war Weltmarktführer. Bei allem.
Die paar rechten Spinner wählten Quatschparteien wie die NPD.
Die Landschaften würden blühen, auch ohne so etwas lästiges wie Klimaschutz. Der interessierte damals keine alte Sau.
Mauern in Köpfen und Städten sorgten für eine einfache, natürliche Ordnung. Der Westen, das waren die Guten, die USA das gelobte Land.
Es gab kein Internet, die Rente war sicher und Probleme ließen sich problemlos um mindestens vier Jahre nach hinten schieben.

Die Achtziger hatten dem Pöbel das Kabelfernsehen gebracht. Brot und Spiele, das reichte dicke.

Und die Ausländer? Die gab es auch schon in den Achtzigern. Ein notwendiges Übel, aber irgendjemand musste sie ja machen, die Drecksjobs, die man keinem Deutschen zumuten konnte. Heute nun kommen die Ausländer nur noch nach Deutschland, um sich hier kostenlos die Zähne machen zu lassen und um unsere Hausarztpraxen zu verstopfen.

Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass auch Menschen, die bereits in dritter Generation hier leben, also Menschen, der wie schon ihre Eltern in Deutschland geboren wurden, für Merz und die Seinen immer noch Ausländer sind.
Das ist in der CDU seit je her Konsens und in der CSU war man sich dessen schon immer ganz sicher.

Aber ach. Die Lage wurde mit den Jahren nicht einfacher, und der Populist an sich, der mag kein kompliziert. Und komplexe Zusammenhänge, die schon gar nicht.

Ich vermag mir kaum vorzustellen, wie schlimm es für Merz gewesen sein muss, zuzugeben, dass man in Deutschland auf Zuwanderer – auch nur ein schönerer Begriff für Ausländer – schon heute dringend angewesen ist. In seiner Not hat Merz daher den guten und den bösen Ausländer erfunden. Nein, das muss man nicht gendern, das ist CDU.

Der gute Ausländer, der ist entweder hochqualifiziert oder macht klaglos jeden noch so beschissenen Drecksjob für weit unter dem Mindestlohn. Dieser gute Ausländer, der darf natürlich auch in der Welt des Friedrich Merz weiterhin gerne sein Deutschland der achtziger Jahre besuchen – immer vorausgesetzt, er verpisst sich wieder, wenn er alt oder krank oder womöglich beides ist. Und wehe, er nimmt seine Kinder und Enkel nicht mit.

Und der böse Ausländer? Den will der Herr Merz schnellstmöglich wieder los werden – und wenn er einmal ganz ehrlich ist, der Friedrich, dann sind das im Grunde doch alle.

Schalten Sie auch nächstes mal wieder ein, wenn wir der Frage nachgehen, ob wir heute nicht deutlich besser dran wären, wenn wir 2021 Armin Laschet angekreuzt hätten.